Geschwister

Unsere Bemühungen
für die
zu uns kommenden Migrant*innen
lassen
sich in vier Verben
zusammenfassen:
aufnehmen
schützen
fördern
integrieren

Nureine soziale und politische Kultur
die eine Aufnahme
ohne Gegenleistung
einschließt
wird eine Zukunft
haben

Wir
müssen das Bewusstsein schaffen
dass
wir die Probleme unserer Zeit
nur gemeinsam
oder gar nicht
bewältigen werden

Papst Franziskus
in seiner Enzyklika über die Geschwisterlichkeit

Begrüßungsrituale

Wir sollen
Abstand halten
Also
gehen wir
neuerdings
mit Fäusten
und Ellbogen
aufeinander
zu

Stattdessen
wächst
das Bedürfnis
nach Nähe
nach der offenen Hand
die uns
umfasst
dem Mund
der uns liebevoll
küsst

Allerseelen

Lauer Wind
die Gräber
noch feucht
vom langen Regen

Aber das Pflaster
vermag
das Blut
der Toten und Verletzten
des Terrors
nicht aufzunehmen

Es schreit
zum Himmel
Oh Abraham
ruf deine Kinder
ruf auf
zur Geschwisterlichkeit

Allerheiligen

Frau W. ist 81. Sie ist eine sehr lebensfrohe Person. Jeden Tag mach sie ihren Spaziergang in den Friedhof. „Grüß euch!“, sagt sie jedes Mal, wenn sie durch das Tor tritt. Sie begrüßt ihre Bekannten, geht durch die Reihen der Gräber, richtet dort Blumen oder gibt Wasser, zündet hier eine Kerze an. Fixe Station ist das Grab ihrer Schwiegertochter, die durch einen Verkehrsunfall ums Leben kam. Sie vermisst sie sehr. Frau W. lebt mit den Lebenden und Toten.

Den Tod fürchten wir wohl alle. Vielleicht hängt unsere Angst vor Corona mit dieser Möglichkeit zusammen!? Nun bat die Regierung die Bischöfe von Feierlichkeiten auf dem Friedhof Abstand zu nehmen. Und die Bischöfe haben Verständnis und sagen alles ab. Nur die Gräbersegnung bleibt –irgendwann. Mir fehlt das Verständnis für dieses Verständnis. Dass es in gewohnter Weise nicht geht ist allen klar. Aber einfach absagen, ohne Alternativen oder andere Formen zu überlegen? Mag sein, dass die Kirche nicht mehr systemrelevant ist. Viele Menschen leben ohne ihr offensichtlich recht gut. Aber die Kirche ist existenzrelevant! Es geht um Leben und Tod! Ist nicht unser Glaube, unsere Hoffnung, dass das Leben stärker ist als der Tod? Hoffen wir vielleicht gar, dass der Impfstoff, auf den wir sehnsüchtig warten, uns vor dem Tod erlöst? Ein Narr, wer solches denkt! Wie also leben mit Corona?

Frau W. wird wie viele andere auch am Tag Allerheiligen am Friedhof sein, wahrscheinlich mit Maske und auf Abstand. Sie wird dort ihre Bekannten treffen, ohne kirchliche Begleitung, und „Grüß euch!“ sagen, zu Lebenden und Toten.